Seit mehr als 155 Jahren wird Tengelmann durch Familienmitglieder geführt, mittlerweile in der fünften Generation. Dabei begleitet das Engagement für Umweltschutz die Familie bereits seit mehreren Jahrzehnten. Wir haben mit CEO Christian W. E. Haub und Dr. Saskia Juretzek, Head of Sustainability, über die Nachhaltigkeitsstrategie der Unternehmensgruppe, konkrete Ansätze für eine Kreislaufwirtschaft und die Zusammenarbeit mit unserer Initiative CIRCULAR REPUBLIC gesprochen.
Die Tengelmann Gruppe hat bereits eine langjährige Nachhaltigkeitstradition. Welche Vision steht dahinter?
CH: Mehr als 155 Jahre Tengelmann liegen hinter uns, mehr als 50 Jahre davon waren geprägt von einem hohen Verantwortungsbewusstsein und Einsatz für Mensch und Natur. Die Ursprünge des Nachhaltigkeitsengagements der Tengelmann Gruppe gehen zurück auf Elisabeth Haub, meine Großmutter und Enkelin der Firmengründer Wilhelm und Louise Schmitz.
In einer Zeit, in der Umweltschutz und Nachhaltigkeit politisch und gesellschaftlich noch keine Rolle spielten, erkannte sie, dass unsere natürlichen Lebensräume gefährdet sind und begann, sich für deren Schutz und Erhalt sowie den Aufbau einer stabilen rechtlichen Grundlage einzusetzen. Den Grundstein dafür legte sie 1968, als sie den Karl-Schmitz-Scholl-Fonds ins Leben rief. Seither machte sie sich, später dann auch erweitert durch die Gründung einer Stiftung, dafür stark, dass das Thema auf eine stabile rechtliche Grundlage gestellt würde.
Ihr ist es zu verdanken, dass an mehreren Universitäten in den USA und Kanada Studierendenprogramme und Lehrstühle für Umweltrecht und -politik eingerichtet wurden und seither wissenschaftliche Arbeiten und Projekte zu diesem Thema – mittlerweile unter dem Dach der Elizabeth Haub School of Law an der Pace University – ausgezeichnet werden.
Die nachfolgenden Generationen – insbesondere mein Vater Erivan Haub, anschließend meine Frau Liliane Haub und inzwischen auch unsere Tochter, Anna-Sophia Haub – haben auf dem „Nachhaltigkeitsfundament“ meiner Großmutter aufgebaut und es über die letzten Jahrzehnte ausgeweitet. Heute sind wir ein aktiver Family Equity Investor, der nicht nur strategisches Kapital in Beteiligungen einsetzt, sondern sich unternehmerisch engagiert, die eigene langjährige Expertise weitergibt und mit wertstiftenden Impulsen deren Entwicklung unterstützt. Wir sind der Überzeugung, dass Gesundheit und Wohlstand des Planeten die Grundlage für das Wohlergehen und die Entwicklung der Menschheit ist. Daher wollen wir mit den Unternehmen, in die wir investieren, eine Zukunft mitgestalten, in der Mensch und Natur in Einklang stehen.
Um diese Ausrichtung zukünftig noch zielgerichteter verfolgen zu können, haben wir das Thema Nachhaltigkeit noch stärker in den strategischen Fokus unseres Handelns gerückt. Wichtige Schritte dazu, die ich zuletzt auch in Zusammenarbeit mit meiner Tochter Anna-Sophia gemacht habe, waren zum Beispiel der Aufbau eines Nachhaltigkeitsteams auf Holding-Ebene und nun mit dem neuen Team das Aufsetzen einer gruppenweiten Nachhaltigkeitsstrategie, an denen sich unsere bestehenden und zukünftigen Beteiligungen ausrichten werden. Unser Familien-Purpose unterstreicht dieses Vorhaben: „Business can do better, can be better – for human and planetary wellbeing“. Dafür setzen wir uns ein, jeden Tag, heute und in Zukunft.
Welche positiven Auswirkungen auf die Wertschöpfung gab es bereits?
CH: In den 1980er Jahren weitete mein Vater das anfangs rein private Umweltengagement unserer Familie auf den Einzelhandel aus. Sein Anliegen war es, seine Geschäfte und damit die Reichweite zu nutzen, um zu Themen rund um Umweltschutz zu sensibilisieren, zu informieren und zu überzeugen. Dabei nahm er eine Pionierrolle ein.
Eine seiner ersten Aktivitäten im Jahr 1984 war es, Froschschenkel und Schildkrötensuppe auszulisten. Stattdessen machte er die beiden Tiere zum Markenzeichen der Kampagne „Der Umwelt zuliebe", die in den folgenden Jahren für viel Aufmerksamkeit und hohe Bekanntheit sorgten. Noch heute verbinden viele Menschen das Logo, das zum Beispiel auf Einkaufstaschen abgebildet war, mit dem Namen Tengelmann. Es folgten weitere Umstellungen des Produktsortiments wie das Aussortieren von FCKW-haltigen Spraydosen, phosphathaltigem Waschmittel oder Einweggeschirr und -besteck. Eingeführt wurden unter anderem umweltfreundlichere Hygienepapiere, Mehrwegflaschen und die eigene Bio-Marke Naturkind – alles zu einer Zeit, in der das Wissen und das Bewusstsein für den Schutz der Umwelt noch lange nicht so ausgeprägt waren wie heute. Begleitet wurde diese neue Sortimentspolitik oftmals durch Anzeigenkampagnen, in denen mein Vater in Richtung Politik, Gesellschaft, aber auch Mitbewerbern für ein Umdenken sorgen wollte und an vielen Stellen auch Erfolg damit hatte: viele Konsumenten nahmen die Änderungen positiv auf und auch andere Supermärkte trafen nach und nach ähnliche Entscheidungen für den Umweltschutz. Dass er nicht überall auf Gegenliebe stieß, motivierte ihn nur, weiterzumachen.
Später weitete sich – neben der Verfolgung nachhaltiger Produktstrategien wie zum Beispiel beim Einkauf von Fisch und Meeresfrüchten, um bestehende Ökosysteme und Fischbestände zu schützen – das Engagement auch auf konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz aus. So entstand zum Beispiel 2008 der Tengelmann Klimamarkt, der erste ressourcensparende, klimaneutrale Supermarkt. Und auch in Richtung unserer Mitarbeitenden haben wir schon immer viel unternommen, um ihnen zum Beispiel eine wertschätzende Arbeitsumgebung, viele Weiterbildungsmöglichkeiten oder eine gute Work-Life-Balance zu ermöglichen. Das wird auch zukünftig so bleiben!
SJ: Die bestehenden Aktivitäten lassen sich im neu erarbeiteten Nachhaltigkeitsframework gut erkennen. Neben der Säule ‚Planetary Wellbeing‘, die auf dem Umweltschutzengagement der Vergangenheit aufbaut und es noch einmal mit Fokus auf Dekarbonisierung und das Handeln innerhalb der planetaren Grenzen erweitert und konkretisiert, enthält die zweite Säule ‚Human Wellbeing‘ konkrete Maßnahmen für unsere Mitarbeitenden und die Gesellschaft, zum Beispiel im Bereich Mitarbeitendenförderung. Ziel ist es nun, das Nachhaltigkeitsframework mit allen Beteiligungen innerhalb ihrer Geschäftsmodelle umzusetzen. Auch hier bauen wir auf Bestehendem auf, wie bespielweise bei KiK, die bereits ein umfassendes Nachhaltigkeitsprogramm haben und sich mit einer hohen Nähe zu den Produktionsstätten unter anderem in Bangladesch und Pakistan stark im Bereich Arbeitsschutz und Bildung engagieren.
Wo liegen für etablierte Unternehmen die Herausforderungen bei der Umsetzung von Materialkreisläufen?
SJ: Der hohen Wichtigkeit und Dringlichkeit, Rohstoffverbräuche zu reduzieren und Materialkreisläufe zu schließen, stehen noch vielfältige Herausforderungen gegenüber. Um nur einige von ihnen zu nennen: ein wesentlich zu hoher Verbrauch von Ressourcen und Energie, zu niedrige Recycling- und Wiederverwendungsquoten, fehlende Infrastruktur, um Materialien zu sammeln, zu transportieren und zu lagern oder technische Schwierigkeiten, Materialien zu trennen. Leider bewegt sich noch keine Branche in größerem Umfang in einer Kreislaufwirtschaft.
Es gibt keine Alternative dazu, den Fokus bei bestehenden Produkten darauf zu legen, weniger wegzuwerfen und die Quote der Ressourcen, die in den Kreislauf zurückgeführt werden, stetig zu erhöhen. Bei der Produktneugestaltung muss von Anfang an darüber nachgedacht werden, wie Ressourcen während ihres Lebenszyklus effizienter genutzt werden können. Dafür sind Innovationen, Investitionen und Verhaltensänderungen notwendig sowie der Austausch und die Zusammenarbeit von vielen Akteuren. Ein Grund für uns, bei CIRCULAR REPUBLIC einzusteigen.
Welche Bestrebungen hat Tengelmann konkret hinsichtlich zirkulären Wirtschaftens und welche Projekte werden 2023 umgesetzt?
CH: Die Tengelmann Gruppe ist davon überzeugt, dass die Kreislaufwirtschaft der Schlüssel zu einer nachhaltigen Zukunft ist. Innerhalb unserer Nachhaltigkeitsstrategie nimmt der Kreislaufgedanke eine zentrale Rolle ein. Wir wollen erreichen, dass sich alle unsere Beteiligungen in den nächsten Jahren auf zirkuläres Wirtschaften ausrichten.
SJ: Bei der Umsetzung stehen wir aber zugegebenermaßen noch am Anfang. Auch wenn es bereits erste kleinere Ideen und Projekte einzelner Beteiligungen gibt, legen wir jetzt parallel zur Arbeit in der CIRCULAR REPUBLIC erst richtig los. In dem Projekt, das wir im Rahmen unserer Kooperation der Initiative durchführen, wird KiK als erste unserer Beteiligungen erarbeiten, wie der Kreislaufgedanke in der Textilbranche umgesetzt werden kann. Der Kick-off zum Projekt hat erst kürzlich stattgefunden und wir freuen uns im Laufe des Jahres über die Fortschritte zu berichten.
Wie wird die Zusammenarbeit mit CIRCULAR REPUBLIC diese Ziele unterstützen?
SJ: CIRCULAR REPUBLIC bietet für uns eine tolle Möglichkeit, den Wandel innerhalb der Unternehmensgruppe hin zu mehr Kreislaufwirtschaft anzustoßen. In der Initiative werden wir uns mit anderen Unternehmen aus der gleichen Industrie austauschen können, die vor ähnlichen Fragestellungen stehen wie wir, und bekommen Kontakt zu Start-ups, die innovative Ideen und Ansätze für die Herausforderungen unserer Branche haben. Der Austausch, die Zusammenarbeit und letztlich die Entwicklung von konkreten Lösungen basieren auf den neuesten Erkenntnissen und Ansätzen.
CH: Insgesamt herausragende Umstände, um aus verschiedenen Sichtweisen und mit gebündelten Kräften an unseren Zielen hinsichtlich der Reduktion unserer Auswirkungen auf Umwelt und Menschen zu arbeiten.
Vielen Dank für das Interview!
Über die Unternehmensgruppe Tengelmann
Die Tengelmann ist ein aktiver, unternehmerischer Family Equity Investor mit Sitz in München und Aktivitäten hauptsächlich in Europa und den USA. Die Schwerpunkte des Engagements liegen derzeit in den Bereichen Handel, Immobilien sowie Growth und Venture Capital mit dem Anspruch, wertstiftende Impulse für eine erfolgreiche Entwicklung der Unternehmen zu setzen. Die Unternehmensgruppe Tengelmann ist unter anderem an KiK, OBI, Babymarkt, No Meat Factory und der Immobiliengesellschaft TREI beteiligt und investiert global in diverse Start-ups. Die Gruppe erwirtschaft jährliche Umsätze im Bereich von 10 Mrd. Euro und beschäftigt mehr als 70.000 Mitarbeitende. Die Tengelmann Twenty-One KG ist die strategische Holding, in der das Thema Nachhaltigkeit für die gesamte Unternehmensgruppe vorangetrieben wird.
Christian W. E. Haub (CEO)
Christian Haub ist alleingeschäftsführender Mehrheits-Gesellschafter der Unternehmensgruppe Tengelmann und Vorsitzender der Geschäftsführung der Tengelmann Twenty-One KG. Er ist Gründer und Chairman von Emil Capital Partners, der US-amerikanischen Venture Capital Gesellschaft der Unternehmensgruppe Tengelmann. Zuvor war er viele Jahre als CEO der Great Atlantic & Pacific Tea Company, Inc. (A&P) in Nordamerika tätig. Seine Berufslaufbahn begann er 1989 im Investment Banking bei Dillon Read in New York. Er ist Mitglied im Aufsichtsrat von Metro Inc. in Montreal, einem der größten Lebensmittel- und Drogerieeinzelhändler in Kanada. Christian Haub hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität in Wien studiert und mit dem Diplom abgeschlossen.
Dr. Saskia Juretzek (Head of Sustainability)
Saskia Juretzek ist Nachhaltigkeitsexpertin mit mehr als zwölf Jahren Erfahrung in der Förderung von Nachhaltigkeit in Organisationen, u. a. bei Accenture, Telefónica Deutschland und Allianz SE. Nach einem Diplom in Internationaler Betriebswirtschaftslehre, hat sie an der Universität Lüneburg zur Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien und den dafür benötigten Kompetenzen promoviert. Seit Juni 2022 leitet sie die gruppenweiten Nachhaltigkeitsaktivitäten der Tengelmann Twenty-One KG. Außerdem hält sie regelmäßig Vorträge zum Thema Nachhaltigkeitsmanagement und ist Beiratsmitglied des MBA „Trend- und Nachhaltigkeitsmanagement" der HfWU. Im Jahr 2020 hat sie Futurewoman mitbegründet, um Frauen in der Nachhaltigkeit zu stärken.