Eden Benibo ist Editorial Director des Hello ICON Magazins und wurde kürzlich mit dem INMA 30 under 30 Award für Editorial Leadership ausgezeichnet. In diesem Interview teilt sie ihre Gedanken und Meinungen zur praktischen Nutzung von KI sowie wertvolle Erfahrungen und Erkenntnisse von der kürzlich im Oktober stattgefundenen ACOS-Konferenz.
Was sind die interessantesten Anwendungsfälle, die Sie kürzlich in Ihrem Arbeitsbereich erlebt haben, und warum?
"Grenzenlosigkeit. Durchbrüche. Balance/Vorsicht. Das sind die Worte, die mir immer wieder in den Sinn kommen, wenn ich an künstliche Intelligenz denke – jederzeit. Ich werde versuchen, so weit wie möglich auf die Nennung spezifischer Produkt- oder Servicenamen zu verzichten, da ich meine Wahrheit in aller Authentizität teilen möchte. Sollte ich jedoch doch welche erwähnen, wissen Sie bitte, dass ich in keiner Weise mit diesen Unternehmen aus kommerziellen oder anderen Gründen verbunden bin.
Als Journalistin, die stets darauf bedacht ist, visuelle und erklärende Einblicke für ihr Publikum zu schaffen, möchte ich zunächst mit Worten ein Bild malen und eine lebendige Darstellung meiner bisherigen Erfahrungen mit KI vermitteln.
KI war wie ein frischer Wind, der meinem „kleinen, aber starken“ Team und mir buchstäblich "Flügel verliehen" hat, indem er unsere gesamten Produktionsprozesse erleichterte – besonders als digitale Medienplattform. Ich bin Editorial Director und leitende Interviewerin bei Hello ICON Magazine, wo 95 % unserer exklusiven Interviews remote über digitale Plattformen wie Zoom durchgeführt werden. Bereits im ersten Jahr von Hello ICON führten wir über 100 digitale Interviews mit Gesprächspartnern aus über 20 Ländern und vier Kontinenten.
In den letzten zwei Jahren hatten wir mit der manuellen Transkription unserer sehr langen Interviews von Audio in Text zu kämpfen. Um die Aufgabe zu bewältigen, mussten wir unser Team aufstocken. Dies führte jedoch zu einer Überlastung unseres Redaktionsteams, da die gelieferten Transkriptionen oft voller grober Fehler waren und zahlreiche Korrekturen erforderten.
Heute sind KI-gestützte Transkriptionsdienste eine enorme Erleichterung für unser Team, da unsere einzigartigen Interviews ein Unterscheidungsmerkmal unserer Marke darstellen. Diese Transkriptionstools sind so fortschrittlich, dass sie mehrere Sprecher erkennen und auch in lauten Umgebungen arbeiten können. Während die meisten unserer Interviews in ruhigen Räumen stattfinden, erfordern dringende Geschichten manchmal Gespräche in weniger ruhigen Umgebungen oder auf Veranstaltungen. All diese Herausforderungen haben sich dank dieser technologischen Werkzeuge erheblich reduziert.
Aber ich möchte betonen, dass dies nicht die Notwendigkeit menschlicher Redakteure negiert. Was die Menschen am meisten verstehen sollten, ist: Ja, KI ist gekommen, um zu bleiben, aber nicht, um uns Menschen zu ersetzen. Wie Olamide Osho, unser Leiter der Technik bei Hello ICON Magazine, oft sagt: „KI ist nur die nächste Entwicklungsstufe von Computern.“ In seinen Worten: „Alles, was rechnet, braucht immer noch Input. KI mag selbstständig lernen, aber selbst dieses Lernen basiert auf den Daten, die in sie eingespeist werden.“
Mit anderen Worten, KI braucht uns, um effektiv zu funktionieren. Und wir brauchen KI, um unsere Kreativität und Arbeitsprozesse zu verbessern. Ein kürzlich erschienener Artikel bei Hello ICON beleuchtet diesen Punkt weiter und zeigt, warum KI und der unverzichtbare menschliche Touch zusammengehören.
Hier kommen Balance und ein menschenzentrierter Ansatz ins Spiel. Bei Hello ICON Magazine nutzen wir gelegentlich auch KI-generierte Bilder und Illustrationen, die uns hochwertige Ergebnisse liefern, Zeit sparen und unsere visuelle Geschichtenerzählung verbessern. Die Transkriptionsdienste und die KI-Bildgeneratoren sind die beiden Anwendungsfälle, die wir nutzen. Aktuell stehen wir weiteren KI-gestützten Diensten, die mit unseren journalistischen Ethik- und Integritätsstandards kollidieren könnten, jedoch skeptisch gegenüber.
Welche Veränderungen durch den Einfluss künstlicher Intelligenz konnten Sie in Ihrem Arbeitsbereich feststellen?
In den letzten Monaten habe ich wie nie zuvor den tiefgreifenden Einfluss von künstlicher Intelligenz auf den Journalismus erlebt. Dieser Einfluss betrifft nicht nur die Geschichten, die wir erzählen, sondern auch, wie wir sie erzählen. Er betrifft nicht nur die Art der Erzählung, sondern auch, wen wir damit erreichen – unser Publikum. Und letztlich betrifft dieser Wandel sogar uns selbst als Journalist*innen.
Was die Art der Geschichten angeht, so hatte ich kürzlich auf dem ACOS Alliance Annual Meeting in London die Gelegenheit, mit einer Kollegin zu sprechen, die an einer Reportage über KI arbeitet. Diese Reportage beleuchtet, wie KI bahnbrechende wissenschaftliche Entwicklungen vorantreibt, die es Menschen ermöglichen sollen, mit verstorbenen Angehörigen zu kommunizieren. So faszinierend und zugleich beängstigend dies klingt, zeigt es doch, wie innovativer Journalismus heute „out-of-the-box“-Geschichten und Dokumentationen produziert, um das Publikum aufzuklären und über technologische Entwicklungen zu informieren. Solche Geschichten wären vor wenigen Jahren ohne den Aufstieg der KI undenkbar gewesen.
Auch die Art und Weise, wie wir Geschichten erzählen, hat sich verändert. Medienhäuser werden zunehmend flexibler und nutzen KI-gestützte Tools, um neue Zielgruppen zu erreichen – jenseits der traditionellen Publikationswege. Dazu gehören personalisierte Inhalte, die auf den Vorlieben der Leser*innen basieren und durch die Analyse ihres Verhaltens sowie anderer systematischer Kennzahlen unterstützt werden.
In Bezug auf unser Publikum verfeinert KI die Bedürfnisse und Vorlieben der Nutzer*innen zunehmend, erweitert die Möglichkeiten und schafft eine größere Neugier auf Inhalte über verschiedene Plattformen hinweg. Branchen, die mit diesen Entwicklungen nicht Schritt halten, riskieren, schnell den Anschluss zu verlieren oder in der Welle konstanter Innovationen unterzugehen.
Angesichts der Vielzahl an Informationen, die um die knappe Aufmerksamkeit des Publikums konkurrieren – besonders in der digitalen Welt voller Trends und Klicks – setzen Nachrichtenplattformen und Medienhäuser vermehrt auf benutzerfreundliche Tools, die interaktivere und ansprechendere Inhalte ermöglichen.
Ein oft vernachlässigter Aspekt im Journalismus ist die Arbeitsbelastung, die sowohl die physische als auch die mentale und emotionale Gesundheit beeinträchtigen kann. Langfristig wirkt sich dies negativ auf das persönliche und berufliche Wohlbefinden aus. Mithilfe KI-gestützter Tools können Journalist*innen nun Arbeitsabläufe optimieren, Zeit und Energie sparen und sich besser auf hochwertige Inhalte konzentrieren. Dies führt zu einer gesteigerten Produktivität und einer verbesserten Arbeitsqualität.
Es gleicht einem interaktiven Kreislauf: Was – der Inhalt | Für wen – das Publikum | Warum – der Grund | Von wem – die Journalist*innen. Auch wenn einige dieser Teile oft übersehen werden, ist jeder von ihnen entscheidend für ein funktionierendes System. KI ist gekommen, um all diese Aspekte zu verbessern und keine Lücke offen zu lassen.
Wie groß ist Ihrer Meinung nach der Einfluss, den künstliche Intelligenz auf Ihren Arbeitsbereich haben wird, und welche Merkmale zeichnen diesen aus?
"Wie bereits erwähnt, wird der Einfluss von KI die gesamte Zukunft des Journalismus prägen. Um dies anschaulich darzustellen, möchte ich einen Einblick in unsere aktuellen Entwicklungen bei Hello ICON Magazine geben. Wir entwickeln eine bahnbrechende Plattform für digitale Nachrichten und Unterhaltung, die direkt über das Web zugänglich ist.
Unser leitender KI-Ingenieur Gospel Ononwi beschreibt dieses Projekt folgendermaßen: „Die Hello ICON Metaverse Platform ist ein immersives, webbasiertes Ökosystem, das die Art und Weise revolutionieren soll, wie Nutzer Nachrichten, Unterhaltung und Bildungsinhalte in einem metaverse-inspirierten Raum konsumieren. Im Gegensatz zu herkömmlichen Virtual-Reality-basierten Metaversen ist Hello ICON über Standard-Webbrowser zugänglich und bietet den Nutzern ein reichhaltiges und interaktives Erlebnis, ohne dass VR-Geräte oder Spiele-Engines benötigt werden.
Unser Ziel bei Hello ICON war es schon immer, über das reine Veröffentlichen hinauszugehen und einen direkten positiven Einfluss auf das tägliche Leben unseres Publikums zu haben. Dank KI kommen wir diesem Ziel heute näher als je zuvor.
Ein weiteres anschauliches Beispiel wurde von Dr. Michelle Ferrier auf dem ACOS Annual Meeting präsentiert. Sie stellte eine mediale Innovation von Trollbusters vor, einer Organisation, die in den letzten drei Jahren über 11 Auszeichnungen erhalten hat. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Erstellung von „Bildungsmaterialien und Schulungen für Journalistinnen zu digitaler Sicherheit und kreativer Arbeit im digitalen Zeitalter“. Ihr neuestes Projekt, "Navigator", ist ein KI-gestützter Assistent, der Journalistinnen bei der Bewältigung von Online-Bedrohungen unterstützt. Dieses erste landesspezifische KI-Tool bietet Medienprofis in Großbritannien Orientierung zu gesetzlichen Regelungen im Bereich Online-Sicherheit und soll zukünftig weltweit ausgeweitet werden, um in Notfällen Journalist*innen überall zu helfen.
Diese Beispiele verdeutlichen die Merkmale und den Einfluss von KI auf die Zukunft des Journalismus. Es geht um den Einfluss auf uns als einzelne Journalist*innen, auf die Arbeit, die wir leisten – die Inhalte, die wir produzieren – und auf die Art und Weise, wie wir diese an unser Publikum weitergeben.
Welche Entwicklung wünschen Sie sich für Ihre Branche? Wie könnten technologische Innovationen/Künstliche Intelligenz dazu beitragen?
Ich erinnere mich an meine Studienzeit im Journalismus. Damals war ich wenig begeistert davon, einem Nachrichtensprecher zuzuhören oder Zeitungen zu lesen – also von den traditionellen Formen der Nachrichtenproduktion und -verbreitung. Das lag nicht an mangelnder Leidenschaft für den Journalismus, denn diese war und ist ungebrochen. Vielmehr störten mich die Prozesse, die Kanäle, die Ansätze, wie diese wichtigen Informationen verbreitet wurden.
Deshalb wünsche ich mir inmitten der technologischen Fortschritte vor allem einen Journalismus, der zugänglicher, wertorientierter und lösungsorientierter ist, mit einer Verbreitung über unkonventionelle Kanäle.
Als Editorial Director von Hello ICON Magazine entwickeln wir, basierend auf Umfragen und konstruktivem Feedback, laufend neue Ansätze für die Content-Bereitstellung, die eine generationsübergreifende Zielgruppe ansprechen. Dazu gehören visuell aufbereitete Geschichten, unkonventionelle Dokumentationen, illustrierte Berichte und interaktive Inhalte, die unser Publikum faszinieren und ansprechen, während wir ethische Standards und Objektivität wahren. Künstliche Intelligenz und technologische Innovationen bilden das Fundament dieser neuen Ansätze im Geschichtenerzählen.
Die Stärke der KI liegt nicht nur in der Optimierung von Produktionsprozessen, sondern auch darin, Produzenten zu unterstützen, besser zugeschnittene Inhalte für spezifische Zielgruppen zu erstellen. Ein Beispiel verdeutlicht dies: Ich interviewte kürzlich eine Frau, die Universitätsabsolventinnen dabei hilft, aussagekräftige Lebensläufe zu erstellen. Früher konnte sie 5 bis 10 Kundinnen pro Woche betreuen, die dennoch eine Woche auf ein personalisiertes Feedback warten mussten. Durch KI ist sie heute in der Lage, Tausende zu unterstützen, ohne an Qualität oder Effizienz einzubüßen.
Für den Journalismus bedeutet KI eine enorme Revolution: von der digitalen Distribution und Informationsgewinnung bis hin zu den Produktionsprozessen, der Erweiterung der Reichweite und letztlich der Wirkung.
Welche Risiken und/oder Bedrohungen sehen Sie im Zusammenhang mit der technologischen Entwicklung?
Bei Hello ICON haben wir kürzlich eine Serie gestartet, die von Kitamuji Aseme, unserem Senior AI-Kolumnisten, geleitet wird. Ziel ist es, unser Publikum, das hauptsächlich aus kreativen Fachleuten besteht, über die Grundlagen der künstlichen Intelligenz zu informieren und darüber, wie man sie ethisch und sinnvoll einsetzen kann.
Das größte Risiko entsteht, wenn die Investitionen in die Entwicklung dieser Technologien das Maß der Investitionen in die Menschen – die Nutzer*innen – übersteigen. Übermäßige Abhängigkeit von KI, der Einsatz von Nachrichtenartikel-Generatoren und unzureichende Gegenmaßnahmen bei Faktenprüfung sind hierbei zentrale Herausforderungen.
Ein weiteres wachsendes Risiko ist die zunehmende Verbreitung sogenannter „Halluzinationen“, also manipulativer Videos bekannter Persönlichkeiten, die gezielt zur Verbreitung von Desinformationen und Fehlinformationen eingesetzt werden. Früher galt: Während Texte leicht manipuliert werden konnten, vertraute man Bildern und Videos als Beleg für Fakten. Heute jedoch sind KI-generierte Bilder und Videos so täuschend echt, dass Manipulationen kaum noch von der Realität zu unterscheiden sind. Obwohl es auch KI-Tools gibt, um Fakten zu überprüfen, stellt sich die Frage: Wie viele Medienhäuser können sich diese leisten, wissen von ihrer Existenz oder nutzen sie effektiv, um ihr Publikum besser zu informieren?
Im August 2024 führte ich eine Umfrage und Mini-Interviews mit ausgewählten Journalist*innen, Social-Media-Influencer*innen, Top-Content-Creator*innen und führenden Medienvertreter*innen durch. Traurigerweise konnte nur eine von zehn Personen länger als 45 Sekunden über grundlegendes Wissen zu KI sprechen. Das ist problematisch, da es sich hierbei nicht um allgemeine Konsument*innen, sondern um diejenigen handelt, die die Öffentlichkeit informieren sollen.
Wie Dr. Myles Munroe einst sagte: „Wenn der Zweck nicht bekannt ist, ist Missbrauch unvermeidlich.“ In einer Welt, in der Wissen sowohl Macht als auch Währung ist, sollte die Demokratisierung von Wissen nicht nur einer kleinen Elite vorbehalten sein. Es muss bei den Informant*innen der Gesellschaft beginnen – den Medienprofis. So können wir einen fundierten, informierten Ansatz für die Nutzung dieser Technologien fördern. Denn so gut diese „Roboter“ auch trainiert sein mögen, ebenso wichtig ist es, die Menschen auszubilden, die sie nutzen. Nur so lassen sich die potenziellen Vorteile maximieren und die Risiken und Bedrohungen mindern.
Eden Benibo ist eine zielorientierte Journalistin, die sich leidenschaftlich für aufstrebende Technologien, politische Strategien und die kreative digitale Wirtschaft engagiert. Als Editorial Director des Hello ICON Magazine setzt sie sich für unterrepräsentierte Kreative ein, mit einem besonderen Fokus auf afrikanische Jugendliche und Kinder. Die mehrfach ausgezeichnete Journalistin erhielt kürzlich den INMA 30 Under 30 Award für redaktionelle Führungsqualitäten und nahm am ACOS-Treffen 2024 in London teil. Sie ist die erste nigerianische RoundTable Global Change Ambassador und hat Panels bei AfricaNXT moderiert. Darüber hinaus engagiert sich Eden als Mentorin bei Initiativen wie den Diana Awards und Africa Matters, um eine inklusivere und nachhaltigere Zukunft für Kreative weltweit voranzutreiben.
This interview is part of PANTA Experts where we interview diverse experts in the media industry and beyond. Interviewer: Jan Kersling (PANTA RHAI).
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