Start-Up vs. Mittelstand

Start-Up vs. Mittelstand

Ende 2019 beschloss ich, eine Managementposition mit Prokura bei einem mittelständischen Unternehmen im Schwarzwald zu verlassen um zu gründen. Die Motivation dafür lag auf der Hand. Steilere Lernkurven, mehr Verantwortung, eine Herausforderung wie sie im Buche steht. Obwohl erwartet, muss ich direkt zugeben: drastischer hätte die Umstellung nicht sein können, als ich auf Anfang 2020 vom beschaulichen Freiburg in die Hauptstadt zog. Wie mir schnell klar wurde tauschte ich nicht einfach nur einen Job gegen den nächsten, sondern viel grundlegendere Dinge. Sicherheit, Ruhe, Prestige gegen Risiko, Wachstum, Herausforderung. Einen größeren Unterschied zwischen dem Leben eines Bereichsleiters mit Prokura in Freiburg und dem eines Gründers in Berlin habe ich noch nicht gesehen. Daher im Folgenden eine auf dutzenden Unternehmen basierende Einschätzung, die ich in den vergangenen Jahren kennenlernen durfte. 

Der Deutsche Mittelstand strahlt mit seinem Erfolg und seinen Werten in alle Welt hinaus. Know How, Kompetenz, Effizienz, Stabilität. In kaum einem Bereich werden Investitionen langfristiger gedacht und Entscheidungen besser bedacht. Nicht kurzfristiges Wachstum, sondern nachhaltiger Werte Aufbau steht auf der Tagesordnung. Nur wenige Manager kreuzten meinen Weg, die sich persönlich vor das Gesamt der Unternehmung gestellt haben. Nur als Gemeinschaft ist man stark, nur durch Partnerschaften kommt man voran. Das schlägt sich meist in einer traditionell geprägten Belegschaft, als auch einer finanziell unaufgeregten Bilanz nieder. Die Vorteile für Arbeitnehmer und Arbeitgeber liegen auf der Hand. Betriebsbedingte Kündigungen werden hinausgezögert, die MitarbeiterInnen stehen im Zentrum der Leitkultur. Familiärer Umgang, Betriebszugehörigkeiten von 20, 40, manchmal 50 Jahren können verzeichnet werden. Wissen bleibt in den Unternehmen, Austausch findet wenig statt. Es ist ein angenehmes, ein ruhiges Arbeitsleben. Die Unternehmen sind lokal prägend, gestalten das öffentliche als auch private Leben ganzer Regionen. Der Mittelstand steht für Qualität, Verlässlichkeit, Beständigkeit. Kurzum, der Mittelstand ist wichtig, die Wirtschaft in Deutschland ohne Ihn in nicht vorstellbar. 

Gleichzeitig birgt das Setup auch Gefahren. Ein stabiles, sicheres Nest verleitet zu Lethargie. Sofern man weder richtig faul noch richtig fleißig ist, lässt es sich für MitarbeiterInnen gut in der Mitte mitschwimmen. Absolute Vorreiter und Visionäre verirren sich selten in diese Firmen. Der Großteil der Belegschaften leistet Dienst nach Vorschrift. Wer den Kopf zu weit herausstreckt wird von der Gemeinschaft abgestraft, durch Missgunst, Isolation, oder Boykott der Ideen. Prozesse sind langwierig, Entscheidungen langsam. Je vermeintlich wichtiger ein Projekt, desto größer das Projektteam. Die familiäre Wertgestaltung gewährleistet es, dass niemand vergessen wird und alle einbezogen werden. So explodieren in manchen Bereichen Overheads, was verkompliziert statt zu vereinfachen. Das hemmt Innovation und vermeidet Fortschritt außerhalb der Komfortzone. Sicher entwickeln sich auch diese Unternehmen weiter, jedoch meistens nur inkrementell. Eine wie von Frank Thelen geforderte 10x DNA sucht man vergeblich. Das bedeutet, zum Wohl der Stabilität, wird Innovation aufgegeben. Es scheint ein Widerspruch in sich, wenn ein Mittelständisches Unternehmen behauptet in Beidem brillieren zu können. 

Die Start Up Welt steht zu diesen Eigenschaften in jeder Hinsicht konträr. Schnelligkeit, Kurzlebigkeit, Risiko, Wachstum. Und das um jeden Preis. Entscheidungen werden ad hoc getroffen, Auswirkungen nur kurzfristig beleuchtet. Der Markt, das Angebot, der Kunde wechseln sich so viel schneller als beim Mittelstand, das sich langfristige Prozesse niemand leisten kann. Der Produkt/Service Market fit muss erst und immer wieder gefunden werden, während Mittelständler diesen in Ihrer DNA tief verankert haben. Das macht sie erfolgreich, aber genauso angreifbar. Start Ups müssen sich Ihre Existenzberechtigung erst erkämpfen und Ihre Nische neu definieren. Schnelle Teamwechsel, kurze Entscheidungswege, rasante Technologie und Organisationswechsel sind kein Herausforderung, sondern ein Competitive Advantage. Nur wer gut zuhört und schnell handelt, sich rasant anpasst und Chancen ergreift, findet seinen Weg zum Kunden. Das zieht Freigeister an und birgt Wachstumspotential für Innovatoren. Es ist ein stimulierendes, manchmal überfordertes, aber immer von Spannung geprägtes Umfeld. Wer sich ausruht wird ausgeworfen. Leistung und Commitment sind kein nice to have, sondern ein must have. Das spiegelt sich auch in den Skill Sets der Gründer und Ihrer Teams wieder. Weniger Spezialisierung, mehr Allrounder. Bis auf wenige Bereiche müssen im Start Up zwangsweise alle mit anpacken. Das schafft Verständnis für die KollegInnen. 

Mit dieser Schnelligkeit und dem häufigen Umdenken kommen aber auch Schattenseiten zum Vorschein. Oft fehlt Start Ups das Durchhaltevermögen und die Stabilität auch durch tiefe Gewässer zu waten. Ähnliches gilt für das Team. Neue Projekte und Ideen gibt es viele. Ein Wechsel zu neuen Herausforderungen ist immer spannend, bringt mitunter weniger Reibung und ist daher besonders häufig. Oft werden in beeindruckendem Tempo große Investitionen verbrannt und Gelder nicht so ernst genommen wie sich das mancher Investor vorgestellt hätte. Die nächste Bridge, die nächste Finanzierungsrunde ist immer nur ein Steinwurf entfernt. Weiterhin werden allzu oft, sicher auch geprägt durch die Deutschen Startup Vorreiter der Rocket Internet Schmiede, Start Ups auf einen Exit hin aufgebaut. Das Ziel ein Unternehmen kurzfristig aufzubauen und zu pushen nur um es dann einem Konzern oder Konkurrenten zu verkaufen ist ein funktionierendes, jedoch unter verschiedenen Aspekten nur bedingt ethisch vertretbares Unterfangen. Der Fokus ist auch hier Wertschöpfung, jedoch persönliche. Einer der größten Unterschiede im Vergleich zum Mittelstand. 

Kaum zwei Branchen scheinen sich so sehr zu unterscheiden wie der deutsche Mittelstand und die Start-Up Welt in Berlin. Was den Einen fehlt, haben die Anderen im Überschuss - und umgekehrt. Ein Spannungsbogen der den Reiz der beiden Welten ausmacht. Die bisherigen Versuche Werteaustausch zwischen den beiden Welten zu betreiben sind meines Erachtens nur bedingt erfolgreich. Ein Hub in Berlin, das die Muttergesellschaft in der Provinz mit Innovation anreichern soll, wird nicht ernst genommen. Innovation aus dem Kern der Mittelständischen Gesellschaft heraus wird oft nach kurzem Interesse abgestoßen und in der bisherigen Kultur verschluckt. Ähnlich ist es bei der Übernahme externer Start Ups, bei denen eine Eingliederung versucht wird. Ein treffendes Sprichwort besagt:

“Schaue Dir beim ersten Besuch eines Unternehmens die MitarbeiterInnen ganz genau an. Nicht sie werden wie du, sondern du wirst wie sie.” 

Ich glaube daher fest daran, dass es die Utopie des Hybriden als Unternehmen sowohl stabil, traditionell und qualitativ hochwertig, aber gleichzeitig innovativ, mutig und schnell zu sein, nur in den aller wenigsten Fällen wirklich gibt. Gleichzeitig frage ich mich, ob es das überhaupt braucht. Mehrwert und Schönheit liegen oft in sich gegenseitig stimulierenden Unterschieden. Ich glaube daher nicht, dass Mittelständler wie Start-Ups werden müssen und umgekehrt, sondern das in der Ergänzung zueinander der wahre Mehrwert liegt. Unternehmen werden daher in Zukunft weit flexiblere, multilaterale Unternehmensstrukturen annehmen müssen um diversen Kulturen Platz und Freiraum bieten zu können. Mit der Berechtigung zur Existenz für alle. Unternehmen würden daher gut dran tun die aktuellen Toleranz und Gleichberechtigungsdebatten in unserer Gesellschaft nicht als soziokulturellen, sondern viel mehr auch als organisationellen Trend zu erkennen.

Wie sind eure Erfahrungen mit den Beiden Bereichen? Habt Ihr eine andere Meinung dazu?

Nico Schultis

Unser Mehrwert für Sie : Employer Branding | Umwelt | Mobilität | Gesundheit

4 Jahre

Hallo Mario, wir kennen uns ja noch aus unserer "alten" Zeit. Dein Artikel ist super interessant zu lesen! Durch meine Erfahrungen bei JobRad kenne ich ja auch beide Seiten. Gerade der Werdegang von JobRad vom klassischen Startup zum Mittelstand ist hier auch super interessant zu betrachten. Hier lässt sich tatsächlich einer deiner angesprochen Hybriden erkennen. Ich kann sagen es ist möglich! Gruß & vielleicht bis ganz bald in der alten Heimat Nico

Marcel Höhl

Nutze deine Möglichkeiten

4 Jahre

Sehr gut gewähltes Sprichwort. Dies sollte mal jeder Mitarbeiter für sich zur Reflektion nehmen. Für mich bedeutet es weiterhin meine Vorstellung in der veränderten Arbeitswelt hinsichtlich Digitalisierung durchzusetzen. Auch wenn man weiß, dass viele es nicht verstehen und belächeln. Aber der Erfolg gibt einen Recht. Man hat nur zwei Möglichkeiten oder?: sich treu bleiben oder in der Masse eines Unternehmens schwimmen.

Max Seidenberger

IBP Lead - Philip Morris International Switzerland

4 Jahre

Klasse Artikel! Interessant waere zu wissen, was Du denkst, im Vergleich zu anderen Gruendern, eben genau durch deine Erfahrungen im Mittelstand, anders zu machen? Gibt es Dinge, die du dir vom Mittelstand 'abschauen', moechtest fuer dein eigenes Unternehmen, obwohl der Gedanke des Gruendens sicher auch daher kam, es anders zu machen und innovativer, riskanter, etc. zu sein als der typische Mittelstaendler es ist?

Katrin-Cécile Ziegler

Keynote-Speaker für Tech, AI & Innovation▫️Digital- & Umweltökonomin ▫️ Event-Moderatorin ▫️Tech-Journalistin

4 Jahre

Deine Frage kann ich nicht beantworten, ich bin Solo-Selbstständige ;) Ich habe jedoch eine Frage an dich: Warum hast du BaWü zum Gründen verlassen? Was hat dir gefehlt?

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