Die deutsche Debatte um den Ukrainekrieg verrennt sich in den Details, und verkennt dabei die übergeordneten geopolitischen und polit-ökonomischen Realitäten.
1. Ohne die Unterstützung des Westens kann die Ukraine dem russischen Angriff nicht standhalten. Der Biden Regierung hat den politischen Willen, diese Unterstützung leisten, es fehlt ihr jedoch bereits heute die (innen-) politische Kraft, sie durchzusetzen. Auch Frankreich und West-Europa bleiben bei der Unterstützung der Ukraine weit unter ihren Möglichkeiten. Deutschland und Ost-Europa haben auf sich gestellt nicht die militärischen Kapazitäten, die Ukraine mit dem zu versorgen, was sie braucht.
2. Mit einer Trump Präsidentschaft würde auch der politische Wille der USA zur Unterstützung der Ukraine enden. Aber auch eine Biden II Regierung wird den Krieg in der Ukraine lieber früher als später einfrieren wollen, um sich aus der drohenden Überdehnung in zu vielen Konflikten (Mittlerer Osten, potentiell koreanische Halbinsel und Balkan) zu befreien und sich auf den Wettbewerb mit dem strategischen Rivalen China konzentrieren zu können. Deutschland und Ost-Europa drohen dann politisch exponiert alleine gegen Russland zu stehen.
3. Mittelfrist wird jede amerikanische Regierung die Hauptlast der europäischen Sicherheit auf die Europäer übertragen. Politisch ist diese Einsicht bei den irrlichternden Franzosen (mit postkolonialen Träumen in der Sahelzone und im Indo-Pazifik) und Briten (mit ihren Illusionen eines Global Britain) noch nicht angekommen. Deutschland und Ost-Europa droht hier die Überforderung.
4. Die Kosten für die europäische Sicherheit (Verteidigung plus Energiesicherheit plus Industriestandort) werden sich ohne den amerikanischen Schutzschirm ähnlich wie in Zeiten des Kalten Krieges auf 4 % des Bruttoinlandproduktes belaufen. Die Verteilungskonflikte, wer diese Kosten tragen muss (das untere Drittel durch Kürzungen der Sozialtransfers; das mittlere Drittel durch Steuererhöhungen; das obere Drittel durch Vermögenssteuern bzw. Inflation) werden langsam sichtbar, werden jedoch eine Wucht entfalten, die das Parteiensystem völlig durcheinanderwirbeln wird. Bis diese Verteilungsfrage nicht ausverhandelt ist, wird jede deutsche Regierung nur begrenzt handlungsfähig sein.
5. Die politische Handlungsfähigkeit Deutschlands ist also absolut (mangelnde militärische und industrielle Kapazitäten), relativ zu anderen (Verlust politischen Einflusses und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit), zeitlich und rechtlich (die Verteilungskämpfe und rechtlichen Hürden werden jeden Kurswechsel verlangsamen) begrenzt. Bei der strategischen Frage, wie sich Deutschland und Europa positionieren sollen, müssen die Ziele also den begrenzten Mitteln angepasst werden.
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