Physik

Kaltes Plasma als neue Waffe gegen Gifte und Keime

Von Silvia von der Weiden
Veröffentlicht am 12.09.2014Lesedauer: 7 Minuten
Im sogenannten Plasma-Pen werden Plasmastrukturen auch heute schon in der Wundbehandlung eingesetzt
Im sogenannten Plasma-Pen werden Plasmastrukturen auch heute schon in der Wundbehandlung eingesetztQuelle: neoplas tools GmbH

„Aus der Nasa-Forschung jetzt für Sie zu haben“ – das klingt nach abgenutzter Werbe-Floskel. Das kalte Plasma kann nun wirklich als Entdeckung aus der Raumfahrt eine Karriere als Multitalent hinlegen.

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Plasma, das physikalische Phänomen wird oft mit exotischen Materiezuständen in Verbindung gebracht, wie sie im Innern von Sternen anzutreffen sind. Auf der Erde bringen die elektrisch geladenen Gasgemische Energiesparlampen zum Leuchten und werden beispielsweise zum Lichtbogenschweißen oder bei der Oberflächenbehandlung in der Halbleitertechnik eingesetzt.

Erst seit den frühen Neunzigerjahren ist es möglich, „kalte“ Plasmen bei Atmosphärendruck zu erzeugen. Dem Gasgemisch wird dabei gerade so viel Energie zugeführt, dass nur die winzigen Elektronen, nicht aber größere elektrische Ladungsträger in Bewegung versetzt und damit Tausende von Grad heiß werden. So lässt sich die Temperatur des Plasmas auf Raumtemperatur einstellen.

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Das eröffnet völlig neue Anwendungen. Beispielsweise zur Reinigung von Industrieabwässern, die mit biologisch schwer abbaubaren Verbindungen belastet sind. Mit kaltem Plasma, das neben geladenen Teilchen kurzwellige Strahlung und reaktionsfreudige chemische Spaltprodukte, sogenannte Radikale, enthält, lassen sich sogar problematische Zyanidverbindungen aus der Galvanik entgiften.

Mit Plasma gegen Schadstoffe im Wasser

In die Praxis umgesetzt haben das nun Forscher am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB. „Bringt man verunreinigtes Wasser in Kontakt mit einem solchen Plasma, so reagieren die Radikalen mit den im Wasser gelösten Schadstoffen. Auch die durch das Plasma erzeugte Strahlung wirkt über fotochemische Prozesse auf die Schadstoffe ein. In beiden Fällen werden die Schadstoffe oxidiert und dadurch unschädlich gemacht“, erläutert IGB-Projektleiter Michael Haupt das Prinzip.

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Im Rahmen eines EU-Projektes haben die Forscher einen Plasmareaktor entwickelt. Eine angelegte Hochspannung zündet das Niedertemperaturplasma in dem Reaktionsgefäß. Die Forscher haben zu Testzwecken zyanidhaltige Industrieabwässer eingeleitet, die zusätzlich stark mit organischen Verbindungen belastet waren. Die Behandlung dauert nur 90 Minuten. „Danach ist die Konzentration von Zyanid um mehr als 90 Prozent bis unter die Nachweisgrenze gesunken“, berichten die Forscher, die ihre Ergebnisse im Fachblatt „Water Research“ veröffentlicht haben.

In einem vom Bundesforschungsministerium geförderten Nachfolgeprojekt soll die Technik nun zur Marktreife gebracht werden. „Um herauszufinden, welche Wechselwirkungen zwischen den reaktiven Plasmaspezies und im Wasser gelösten Schadstoffen am besten zum Abbau der Schadstoffe führen, wollen wir drei verschiedene Reaktortypen aufbauen und umfassend testen“, berichtet IGB-Forscher Haupt. Die Reaktorkonfiguration mit den besten Ergebnissen soll dann als Demonstrator aufgebaut werden, um Industrieabwasser im größeren Maßstab zu untersuchen.

Technologie als Bakterienkiller

Auch die Medizin setzt neuerdings auf kaltes Plasma. So lassen sich hartnäckige und gefährliche Bakterienbeläge bekämpfen, die Wundheilung verbessern und sogar Krebszellen in den Selbstmord treiben. An solche Möglichkeiten dachte Gregor Morfill, Astrophysiker am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching, zunächst nicht, als er 1993 im All auf ein seltsames Phänomen stieß. In den kalten, staubigen Saturnringen entdeckte er Plasmastrukturen von erstaunlicher Regelmäßigkeit. Diese erinnerten ihn an ein Kristallgitter. Im Labor tüftelte Morfill so lange, bis er die Strukturen nachbilden konnte.

Experimente an Bord der „Internationalen Raumstation“ belegten seine Vorstellung von der Entstehung kalter Plasmen. Die Entdeckung aus dem All hat auf dem Boden neue Techniken hervorgebracht, mit denen sich kalte Plasmen bei atmosphärischem Druck erzeugen lassen. „Diese Geräte bringen große Hoffnungen für die Zukunft“, sagt Morfill, Direktor am MPE. In der Medizin sind sie bereits im Einsatz: als kugelschreibergroßer „Plasma-Pen“.

Das Gerät verursacht kleine elektrische Entladungen. In der Luft bildet sich so in einer Kette chemischer Reaktionen auch die Sauerstoffverbindung Ozon. Zwar ist davon auf der Haut nur ein warmer Lufthauch spürbar, doch „medikamentenresistente Bakterien werden so gezielt abgetötet“, sagt Morfill. Noch sind die genauen Wirkmechanismen nicht im Detail geklärt.

Keime in Wunden reduziert

In klinischen Studien hat sich der Nutzen der Plasmatherapie bereits erwiesen. In einer Studie mit rund 350 Patienten, die an chronischen Wunden und verschiedenartigen Hauterkrankungen litten, konnte so die Zahl krank machender Keime in zusätzlich mit Plasma behandelten Wunden um weitere 30 bis 40 Prozent gesenkt werden.

Seit Kurzem ist der erste deutsche Plasma-Pen zur Behandlung von infektiösen Hauterkrankungen und zur Verbesserung der Wundheilung als Medizinprodukt zugelassen. Entwickelt haben ihn Wissenschaftler des Greifswalder Leibniz-Instituts für Plasmaforschung und Technologie (INP) zusammen mit Kollegen an der Charité Berlin und dem Universitätsklinikum Greifswald.

Ob der Einsatz der Plasmatherapie auch in der Zahnmedizin sinnvoll ist, untersucht derzeit das vom Bund geförderte Projekt „PlasmaDent“. Es soll auch klären, ob und welche kurz- und langzeitigen Nebenwirkungen auftreten. Bislang gilt das Nebenwirkungspotenzial der Plasmatherapie als noch nicht umfassend genug untersucht.

Nutzen für die Krebstherapie

Das kürzlich in Berlin gegründete Nationale Zentrum für Plasmamedizin soll nun deutschlandweit die verschiedenen Erfahrungen und Entwicklungen der neuen Technik bündeln. Es zeichnet sich ab, dass diese auch für die Krebstherapie von großem Nutzen ist. In Labortests ist es damit gelungen, das Wachstum von Glioblastom-Zellen zu stoppen. Diese bilden den häufigsten und aggressivsten Hirntumor bei Erwachsenen.

Weniger als 16 Prozent der Patienten überleben damit länger als drei Jahre. MPE-Forscher haben Kulturen der aggressiven Krebszellen mit kaltem atmosphärischem Plasma vorbehandelt. Dadurch sprachen die therapieresistenten Zellen wieder auf eine Chemotherapie an und konnten abgetötet werden. Möglicherweise ist das der erste Schritt zu einer neuen Kombinationstherapie.

Für Aufhorchen sorgte die Entdeckung, dass Niedertemperaturplasmen auch Prionen abtöten. Dazu gehören die BSE-Erreger. Der Nachweis gelang Forschern, die sich in dem EU-Projekt „Biodecon“ (Decontamination of biological systems using plasma discharges) zusammengeschlossen haben. Prionen sind Eiweißverbindungen, die natürlicherweise im Nervengewebe von Tieren vorkommen. In einem molekularen Fehlfaltungsprozess, der sich wie eine Kettenreaktion langsam durch das Nervengewebe frisst, zwingt die krank machende Form den gesunden Eiweißen die fatale Wirkung auf. Die tödliche Krankheit zermürbt das Gehirn und kann durch Verzehr von nicht ausreichend gegartem Fleisch auf den Menschen übertragen werden.

Hartgesottenen Erregern den Garaus gemacht

Zu den übertragbaren Prionenleiden gehört auch die Creutzfeld-Jakob-Krankheit beim Menschen. Dabei wurden Fälle bekannt, bei denen sich Patienten nach einer Hornhauttransplantation infiziert hatten. Die in den Neunzigerjahren ganz Europa erschütternde BSE-Krise hat sich allerorts in verschärften Vorschriften für umfangreiche Maßnahmen zur Sterilisation niedergeschlagen. Diese betreffen viele tierische Lebensmittel sowie chirurgische Instrumente.

Krank machende Prionen sind extrem widerstandsfähig. Sie sind resistent gegenüber üblichen Desinfektionsmitteln und ertragen für Stunden Temperaturen von weit über 100 Grad Celsius, ohne an infektiöser Wirkung zu verlieren. Umso überraschter waren die „Biodecon“-Forscher, als sie in Laborversuchen mit infiziertem Gewebe entdeckten, dass schon die kurze „Dusche“ mit einem kalten Plasma den hartgesottenen Erregern den Garaus macht.

„Nach einer Behandlungsdauer von zehn Minuten war ein spezifischer Marker nicht mehr vorhanden, der im infizierten Gewebe nachweisbar ist und daher als Anzeiger für eine Prionen-Infektion genutzt wird“, stellten Forscher der Ruhr-Universität Bochum fest. Unter ihrer Leitung wurde im Rahmen des EU-Projektes zusammen mit der Industrie ein Sterilisator für medizinische Instrumente entwickelt, der ein Niedertemperatur-Plasma nutzt. Das Verfahren setzen heute viele Kliniken ein.

Interesse aus der Nahrungsmittelindustrie

Für die Plasmasterilisation interessiert sich auch die Nahrungsmittelindustrie, bietet sich damit endlich eine Möglichkeit, frische und hitzeempfindliche Lebensmittel zu entkeimen. Immer wieder verursachen keimbelastete Lebensmittel folgenreiche Krankheitsausbrüche und sorgen so für Misstrauen und Zurückhaltung bei den Verbrauchern. So infizierten sich 2011 rund 4000 Menschen mit dem Durchfallkeim EHEC über verseuchte Keimsprossen aus Ägypten. Ein Jahr später erkrankten 11.000 Kinder und Jugendliche an mit Noroviren infizierten Erdbeeren aus China.

Noch testen Forscher die Technik, denn vor einem Einsatz müssen noch entscheidende Fragen geklärt werden: Wie wirkt sich die Plasmabehandlung auf die stoffliche Zusammensetzung der Lebensmittel und damit auf die Gesundheit der Verbraucher aus, werden alle relevante Keime abgetötet, unter welchen Bedingungen kann das Verfahren in der Praxis eingesetzt werden?

Mit solchen Fragen setzen sich auch die Wissenschaftler am INP in Greifswald auseinander. „Die Plasmabehandlung war von Anfang an erfolgreich. Wir konnten eine deutliche Reduktion der bakteriellen Belastung für alle untersuchten Mikroorganismen auf allen berücksichtigten Lebensmitteln aufzeigen“, sagt die Biologin Uta Schnabel. Weniger eindeutig lässt sich bislang beantworten, ob die Zusammensetzung der Lebensmittel verändert wird. So könnte sich erst in ein paar Jahren entscheiden, ob kalte Plasmen auch den Lebensmittelsektor revolutionieren.


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