Think crisis – think female: Sind Frauen die besseren Führungskräfte in Krisenzeiten?
In jeder Krise gibt es nicht nur eine Chance, sondern auch eine Möglichkeit, Martin Luther King
Effektives Krisenmanagement ist zu einem essenziellen Bestandteil von Unternehmen geworden. Nicht zuletzt aufgrund der COVID-19-Pandemie sind viele Organisationen weltweit plötzlich in eine ökonomische Notlage geraten. Trotz staatlicher Hilfsprogramme und finanzieller Anreize sehen sich zahlreiche Firmen zudem mit einer Reihe tiefgreifender Konsequenzen konfrontiert – sowohl was die Arbeitsweise in den Teams als auch den Zusammenhalt unter den einzelnen Teammitgliedern angeht. Gerade in solch prekären Zeiten ist eine effektive Führung ein Garant für den Erfolg und das Überleben in der Krise. Die derzeitige Literatur zu Führung in Krisenzeiten fällt spärlich aus. Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass bestimmte Führungspersönlichkeiten in solchen Situationen besonders gefragt sind: Sie sind oftmals weiblich und wenn nicht, dann verfügen sie über stereotyp feminine Eigenschaften.
In diesem Beitrag erfahren Sie, weshalb weibliche Führungskräfte in Krisenzeiten besonders begünstigt erscheinen, welche Geschlechtsstereotype dabei zum Tragen kommen und welche Implikationen Krisen für Führung haben können.
1. Think crisis – think female: Führung in Krisenzeiten
Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind Organisationskrisen in Unternehmen zu einem fast schon routinemäßigen Ereignis geworden, was die Frage nach der „idealen Führung“ in Krisensituationen aufwirft. Bisherige Studien belegen einhellig, dass Krisenmanagement oftmals mit Überlegungen zu einem Managementwechsel verbunden ist. Doch wem gibt man in Krisenzeiten den Vorzug, Führung zu übernehmen? Aus der Literatur zur Führungskräfteauswahl geht hervor, dass insbesondere Frauen in Führungspositionen mit hohem unternehmerischen Risiko ausgewählt oder befördert werden (signifikant häufiger als in stabileren, risikoärmeren Zeiten). Belege hierfür stammen beispielsweise aus umfangreichen Archivstudien: In den größten US-amerikanischen und britischen Unternehmen übernehmen Frauen vor allem nach schlechten betriebswirtschaftlichen Ergebnissen, nach vorangegangenen Skandalen und in risikoreichen Situationen allgemein eher Führungspositionen. In der Politik werden Frauen tendenziell in politisch und wirtschaftlich instabilen Zeiten gewählt. Auch in Strafangelegenheiten werden Anwältinnen eher für die Bearbeitung eines schwierigen, risikoreichen Rechtsfalls ausgewählt. Doch welche Erklärungen gibt es hierfür?
2. Female leadership als Signal für Wandel
Das Phänomen, dass Frauen als Führungspersönlichkeiten besonders begünstigt erscheinen, wenn das Risiko des Scheiterns hoch ist (und das ist es offensichtlich in Krisenzeiten), wird als "gläserne Klippe" bezeichnet. Studien zur gläsernen Klippe belegen auch, dass die Wahl für eine Frau in einer Krise oftmals nicht deshalb getroffen wird, weil man der Ansicht ist, sie verfüge über gute Führungsqualifikationen. Vielmehr wird die Wahl dadurch motiviert, sichtliche Veränderungen in einem dysfunktionalen Organisationssystem zu signalisieren oder gar herbeizuführen. Die Idee vom Wandel als Motivator wird durch experimentelle Studien gestützt. Dabei können Unternehmen zwei mögliche Arten von Veränderungen anstreben, um prekäre wirtschaftliche Situationen zu überwinden.
2.1 Der symbolische Wandel: "Seht her, wir gehen neue Wege!"
Einerseits können Unternehmen einen symbolischen Wandel (symbolic change) strategisch umsetzen, indem sie eine weibliche Führungskraft einstellen. Hierbei geht es vor allem darum, nach außen (z. B. gegenüber InvestorInnenen, StakeholderInnen, KundInnen) zu signalisieren, dass (a) sich die Organisation der schwierigen Situation bewusst ist, (b) diese verändern möchte (c) und Maßnahmen zur Krisenbewältigung ergreift. Mit der Entscheidung für eine Frau als Führungskraft erwartet das Unternehmen, das Vertrauen von kritischen Anspruchsgruppen zurückzugewinnen, was sich systemisch betrachtet in eine (Re-)Stabilisierung des Unternehmens niederschlagen könnte. Die Entscheidung für eine Frau hat in diesem Fall also eine vornehmlich symbolische Qualität.
2.2 Der tatsächliche Wandel: "Wir nutzen die Vorzüge weiblicher Führung!"
Andererseits können Unternehmen auch einen tatsächlichen Wandel (actual change) strategisch umsetzen, indem sie die Art und Weise, wie das Unternehmen geführt wird (oder vorher geführt wurde), wirklich verändern. Unter diesem Gesichtspunkt können Frauen als besonders geeignet angesehen werden, da sie einen tendenziell kommunal geprägten Führungsstil aufweisen, der zur Lösung der Krise bzw. krisenhaften Situation beitragen kann. In der Tat gibt es viele Belege dafür, dass interpersonell orientierte Führungsfähigkeiten wie Einfühlungsvermögen, Kooperationsfähigkeit oder Diplomatie in Krisenkontexten besonders hilfreich sind. Die Entscheidung für eine Frau ist in diesem Fall also weniger durch eine rein symbolische Signalwirkung motiviert, sondern reflektiert den Wunsch nach veränderter Führung im Unternehmen. Doch hat die gläserne Klippe nun mit dem Geschlecht oder mit geschlechtsstereotypen Eigenschaften zu tun?
3. Geschlecht, Geschlechtsstereotype und Krisenmanagement
Geschlechtsstereotype sind generalisierte Annahmen über Eigenschaften von Frauen, Männern oder anderen Genderformen. Diese Annahmen werden häufig auf einzelne Personen übertragen, was zu falschen Einschätzungen führen kann. Ein Beispiel: Nur weil Frauen per Klischee als kommunikativ gelten, heißt es nicht zwangsläufig, dass Frau Mustermann das ebenfalls ist. Im Allgemeinen werden Frauen jedoch Beziehungsfähigkeiten zugestanden, die vermutlich hilfreich sind, um eine Krise zu bewältigen. Beispielsweise zeigen Feldstudien, dass weibliche Führungskräfte im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen eher angeben, dass sie eine demokratischere, partizipativere und konsensuale Entscheidungsfindung anwenden und sich als besser gerüstet sehen, Krisen zu bewältigen. Schließlich werden Frauen mit einer Führung in Verbindung gebracht, die „anders“ ist und „neue Wege“ beschreitet. Männer werden hingegen als Garant für Stabilität, Routine und Beständigkeit angesehen. Insgesamt deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass Frauen in Krisensituationen als besser geeignet angesehen werden und daher in solchen Kontexten eher ausgewählt werden.
Doch liegt das tatsächlich am Geschlecht (d. h. der objektive Umstand, eine Frau und kein Mann zu sein) oder an stereotyp femininen Eigenschaften (d. h. die Zuschreibung von typisch "weiblichen" Attributen wie kommunikativ, freundlich, hilfsbereit etc.)? Experimentelle Studien belegen eher letzteres. In einer britischen Studie aus dem Jahr 2011 wurden Teilnehmende nach den idealen Merkmalen einer Führungskraft in einem tendenziell "schlecht" und in einem tendenziell "gut" laufenden Unternehmen gefragt. Die Ergebnisse zeigten, dass stereotyp weibliche (vs. männliche) Merkmale stärker mit einer idealen Führungskraft assoziiert werden und zwar unabhängig vom Geschlecht der Führungskraft. Das bedeutet, dass kommunikativ, freundlich und hilfsbereit wirkende Männer als genauso geeignet eingeschätzt wurden wie ihre weiblichen Kolleginnen. Die Studie liefert also einen Beleg dafür, dass nicht das weibliche Geschlecht per se, sondern die mit dem Geschlecht assoziierten Eigenschaften mit guter Krisenführung in Verbindung gebracht werden.
4. Fazit: Die zwei Seiten des female leadership
Auch wenn einige den Zugang von Frauen zu besonders anspruchsvollen Führungspositionen als einen Fortschritt in der Gleichberechtigung feiern mögen, so verschleiern die Berichte über „Frauen in Führungspositionen “ doch das Wesen solcher Einstellungsentscheidungen. Einige Frauen könnten beispielsweise nur deshalb in „Glasklippenpositionen“ kommen, weil Unternehmen nach außen eine Veränderung signalisieren wollen – ohne dabei einen genuinen Diversity-Gedanken zu hegen. Werden Frauen rein aus symbolischen Gründen ausgewählt oder befördert, bleiben die zahlreichen Bemühungen um Geschlechtervielfalt in der Chefetage bloße Lippenbekenntnisse. Und wieder sehen sich Frauen mit einer Ambivalenz konfrontiert, warum sie eigentlich in eine Führungsposition gekommen sind: Ist ihre Auswahl nur ein instrumentelles Mittel, um Veränderungen zu signalisieren oder haben sie tatsächlich mit ihren Führungsqualitäten überzeugt?
Referenzen (Auswahl):
Gartzia, L., Ryan, M. K., Balluerka, N., & Aritzeta, A. (2012). Think crisis–think female: Further evidence. European Journal of Work and Organizational Psychology, 21(4), 603-628.
Kulich, C., Iacoviello, V., & Lorenzi-Cioldi, F. (2018). Solving the crisis: When agency is the preferred leadership for implementing change. The Leadership Quarterly, 29(2), 295-308.
Ryan, M. K., Haslam, S. A., Hersby, M. D., & Bongiorno, R. (2011). Think crisis–think female: The glass cliff and contextual variation in the think manager–think male stereotype. Journal of Applied Psychology, 96(3), 470.
Rette Leben, lindere Leiden, höre zu, fühle mit, vermittele Wissen und Fertigkeiten und versuche, das deutsche Gesundheitswesen zu verbessern - schwerster Job von Allem
8 MonateSehr interessant😇
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2 JahreGreat postRamzi!
Leadership & Transformation @Kienbaum | Standortleitung Kienbaum Hamburg | Partner & Director
4 JahreDie Forschung von Michelle Ryan und anderen zum #glasscliff lohnt sich zu lesen - oder anzuhören in einem ihrer engagierten Beiträge. Danke für food for thought, Dr. habil. Ramzi Fatfouta 👍🏼