Softwareentwickler (m/w/d) gesucht: Wie Jobtitel implizite Vorurteile beeinflussen
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Softwareentwickler (m/w/d) gesucht: Wie Jobtitel implizite Vorurteile beeinflussen

Unternehmen müssen entsprechend des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sicherstellen, dass Stellenausschreibungen geschlechtergerecht formuliert sind. Geschlechtergerechte Stellenausschreibungen adressieren Menschen unabhängig von ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Gängige Praxis ist es, nach dem Jobtitel den Zusatz „(m/w/d)“ anzuführen. Doch ist diese Klammer ausreichend, damit „alle mitgemeint“ sind? Welchen Einfluss Geschlechtsstereotype im Recruiting haben, was der sog. Male Bias ist und warum das Gendern von Jobtiteln sinnvoll ist, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Geschlechtsstereotype im Recruiting

Geschlechtsstereotype sind sozial geteilte Überzeugungen über die charakteristischen Merkmale von Frauen und Männern, die aus der traditionellen Arbeitsteilung der Geschlechter und den damit verbundenen sozialen Rollen stammen. Diese Rollen implizieren, dass Männer eher in Berufen arbeiten, die stereotyp maskuline Eigenschaften erfordern (z. B. dominant, selbstsicher, rational), während Frauen eher in Berufen arbeiten, die stereotyp feminine Eigenschaften erfordern (z.B. kommunikativ, empathisch, hilfsbereit). Folglich werden bestimmte Berufsgruppen als typisch männlich (z.B. Baugewerbe), während andere als typisch weiblich (z.B. Gesundheits- und Sozialwesen) wahrgenommen.

Verallgemeinerte Vorstellungen über Männlichkeit und Weiblichkeit spielen auch beim Recruiting eine Rolle. Geschlechtsstereotype (z.B. die Annahme, dass Frauen kommunikativer sind als Männer) beeinflussen in erster Linie die Wahrnehmung von Bewerbenden. Das belegen auch zahlreiche Studien: Frauen, die sich stereotypkonform verhalten, werden von Personalverantwortlichen positiver bewertet als Frauen, die ihrem vermeintlichen Stereotyp widersprechen. Männer hingegen werden oft aufgrund von Stereotypen positiver bewertet als Frauen. Am kritischsten ist die Ungleichbehandlung von Frauen in männlich dominierten Berufen (z. B. IT- oder Technologiebranche) oder in Führungspositionen – hier wird die fehlende Stereotypkonformität von Frauen noch negativer bewertet. Werden sie als ambitioniert wahrgenommen, gelten sie als hart, erscheinen sie eher diplomatisch, gelten sie als zu weich. 


Der „Male Bias“ und seine Auswirkungen im Recruiting

Geschlechtsstereotype sind bereits in einer sehr frühen Phase des Recruitings wirksam, nämlich bei der Wahl des Jobtitels. Psycholinguistische Experimente bestätigen, dass Frauen bestenfalls mitgemeint sind, aber nicht mitgedacht werden: Werden Berufe beispielsweise in der maskulinen Form dargestellt (z.B. Arzt), schätzen Personen den Frauenanteil in diesen Berufen geringer ein als wenn eine geschlechtergerechte Formulierung gewählt wird (z.B. Arzt/Ärztin oder ärztliches Fachpersonal). Derartige Denkmuster werden bereits früh geprägt. So zeigen Mädchen und junge Frauen weniger Interesse an stereotyp maskulinen Berufen, wenn diese in der männlichen Form präsentiert werden (z.B. Ingenieur). Das Phänomen, bei dem wir trotz Verwendung des generisch intendierten Maskulinums eher an „Männer“ denken, wird Male Bias genannt.

Der Male Bias und seine Effekte haben auch praktische Konsequenzen für das Recruiting. So sind Frauen beispielsweise weniger bereit, sich für ein Entrepreneur-Programm zu bewerben, wenn die Ausschreibung die maskuline Form nutzt („Jetzt bewerben: Für den Unternehmer von morgen“). Darüber hinaus werden Frauen als weniger geeignet eingeschätzt, wenn sie sich auf eine gehobene Führungsposition bewerben, die einen maskulinen Jobtitel trägt (Geschäftsführer). Der Effekt schwächt sich ab, wenn der Jobtitel geschlechtergerecht formuliert wird (Geschäftsführer/Geschäftsführerin oder Geschäftsführung). Grundsätzlich konnte gezeigt werden, dass die Bewerbungsbereitschaft von Frauen abnimmt, wenn eine Stellenausschreibung nicht geschlechtergerecht formuliert ist. Diese Ergebnisse stellen die Verwendung generischen Maskulinums in Frage, da dieses (ungewollt) die tatsächliche Sichtbarkeit von Frauen herabsetzen kann.  


Ein Plädoyer für die geschlechtergerechte Formulierung von Jobtiteln?

Untersuchungen zeigen, dass Jobtitel anfälliger für den Einfluss von Geschlechtsstereotypen sind als der Inhalt der Stellenbeschreibung selbst. Blickbewegungsstudien zeigen zudem, dass der Jobtitel eines der ersten Elemente ist, das Bewerbende wahrnehmen. Aus diesem Grund muss bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Rekrutierungsprozesses entschieden werden, wie der Jobtitel einer Stellenanzeige formuliert werden sollte, um die gewünschte Zielgruppe effektiv anzusprechen und zu erreichen.

Reicht eine einfache Klammer, um alle mitzumeinen? Untersuchungen, die verschiedene Sprachformen von Jobtiteln analysieren, zeigen, dass der Zusatz „(m/w/d)“ den Male Bias nicht wirklich reduziert (s. Abbildung unten). Das bedeutet, wir denken trotzdem an Männer, auch wenn andere Geschlechter vermeintlich inkludiert sind. Die Verwendung des Zusatzes ist damit zwar AGG-konform, aber kritisch zu bewerten. Unabhängig davon, wie die persönliche Meinung zum Gendern ist, spricht die Befundlage für die geschlechtergerechte Formulierung von Stellenanzeigen: Werden Stellen mit der Beidnennung (z.B. Projektleiter/-in) oder geschlechtsneutral (z.B. Projektleitung) ausgeschrieben, bewerten Frauen und Männer die Position und die Organisation als attraktiver und bewerben sich auch eher. Geschlechtergerechte Formulierungen sind somit ein einfaches und kosteneffizientes Mittel zur Förderung der Geschlechtervielfalt.

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Male Bias in Abhängigkeit von der verwendeten Sprachform eines Jobtitels. Je höher der Wert, desto stärker der Male Bias. Asteriske stehen für das Signifikanzniveau. Masculine = Rein männliche Form (z.B. Projektleiter); word pair = Beidnennung (z.B. Projektleiter/-in); gender neutral = neutrale Form (z.B. Projektleitung), masculine with brackets = Männliche Form mit Zusatz (m/w/d). Quelle: Fatfouta & Sczesny (eingereicht)

Disclaimer: Der Text legt eine binäre Sicht auf das Geschlecht zugrunde, obwohl darüber hinaus auch alternative Sichtweisen diskutiert werden. Die Befundlage zum Male Bias ist hierzu jedoch unzureichend, um eine begründete Empfehlung abgeben zu können.

Bastian Lehmkuhl

Strategisches Recruiting & Personalmarketing @ Deutscher Sparkassen- und Giroverband

1 Jahr

Woher stammen die Daten und wie wurden sie erhoben?

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