Das Ende der falschen Professionalität
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Das Ende der falschen Professionalität

Letzte Woche gab es in der globalen New Work Bewegung einen Aufschrei, nachdem bekannt wurde, dass das Kultur-Vorzeigeunternehmen Basecamp nach internen Diskussionen entschieden hatte, dass Diskussionen über Politik und damit verbundene Themen (Diversity, etc.) nichts mehr am Arbeitsplatz verloren hätten.

Die Geschäftsführung argumentierten damit, dass der Arbeitsplatz einzig und allein ein Ort der beruflichen Produktivität ist und dass ihre Kernkompetenzen - Collaboration Software - mehr als genug zur Welt beitragen und man kein Social Impact Unternehmen sei oder sein will.

Was folgte war ein Exodus eines beträchtlichen Teils der Belegschaft, vieler Top-Führungskräfte miteingeschlossen.

Dabei übersah die Geschäftsführung des einstigen Kultur-Primus drei essentiell wichtige Dinge, die ich in meinen Diversity-Keynotes, -Beratungen und -Trainings ganz speziell adressiere, weil diese gerne übersehen werden:

1. Mitarbeiter_Innen sind mehr als nur ihre Jobrolle

Es war mir schon in meiner Konzernzeit ein Rätsel wie manchen Führungskräfte mokierten, dass man bitte die Emotionen draußen oder - noch lieber - Zuhause lassen soll. Es ist schon klar, das Büro ist keine Mülltonne des emotionalen Ballastes sein darf, doch ist es bei aller Wunschvorstellung nach Objektivität auch kein steriler Laborraum nach vorgegebenen Emotionstemperaturen.

Mitarbeiter_innen, das sind die mit den Träumen, Hoffnungen, Existenzängsten, Wünschen, Plänen und ja, auch Emotionen - ohne diese ist man tot, auch klinisch.

Wer Mitarbeiter_innen in der Rolle begegnet, der lässt das Potential des Menschen dahinter verwelken und nutzt nicht das gesamte Spektrum dessen, was an Ressourcen da ist. Menschen wollen Teil von Etwas sein und das mit ihrem gesamten Menschsein. Das ist nicht erst seit Diversity-Konferenzen ein Thema, sondern ist eine lange Geschichte der Menschheit, die wir erst jetzt lernen neu aufzurollen.

2. Ein Unternehmen ist mehr als die Summe seiner Entscheidungen, Todos und Prozesse

Ja, es stimmt: im Grunde ist ein Unternehmen ein Ort, an dem Entscheidungen fallen und Aufgaben anhand von Prozessketten umgesetzt werden, damit Lösungen für Kund_innen entstehen. Das stimmt.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn solange diese Prozesse, Entscheidungen und Aufgaben nicht zu 100% von der Maschine übernommen werden sind Menschen Teil des Ganzen und der Kleber in der Gleichung.

Auch wenn das Unternehmen Basecamp digitale Tools herstellt, die global funktionieren, muss den Entscheiden klar sein, dass Menschen keine Schrauben sind, die sich drehen lassen wie es der Prozess gerne hätte.

Wäre dem so würden nicht so viele Change- und Transformationsprozesse grandios scheitern. Heute redet man noch von „Mitarbeiter_innen mitnehmen“, doch wird man bald erkennen, dass niemand „mitgenommen“, sondern „dabei sein“ will.

3. Gesellschafsblindheit killt Weiterentwicklung

Die Gesellschaft verändert sich und im Zuge dessen gibt es Friktionen, deren Reibungsgewalt zu nachhaltigen Erschütterungen der alten Denkwelt führen. Denken wir daran, dass das Frauenwahlrecht in Österreich erst seit 100 Jahren existiert, ist es in Anbetracht der kurzen Zeit wirklich bemerkenswert und gut, dass Movements wie #MeToo oder andere Menschenrechts-ähnliche Bewegungen (Black Lives Matters, Friday For Future) heute nicht mehr Nischenthemen sind sondern längst auch den breiten Diskurs dominieren.

Wir haben die letzten Jahrzehnte bemerkenswerte Schritte gesetzt (ja, wir haben auch noch eine lange Reise vor uns), um heute eine Welt zu erleben, in der Diversity kein Randthema, sondern ein Thema am Arbeitsplatz ist - weil es den Menschen, also denen hinter der Job-Rolle, einfach wichtig ist.

Die heutige Generation GLOBAL fordert nicht nur von ihresgleichen den Respekt der Menschenrechtskonventionen sondern fordert diese auch von Brands wo sie einkauft und auch von ihrem Arbeitgeber und zwar mit dem Respekt, der die Diskussion am Arbeitsplatz erlaubt.

Wer das als Führungskraft nicht versteht, der hat die Weiterentwicklung der eigenen Führungskompetenz gegen die Brille der Gesellschaftsblindheit eingetauscht.

Ich selbst kenne und schätze die Macher von Basecamp und ich war sehr überrascht als ich mitbekam, wie sie ihre eigene Reputation innerhalb von wenigen Tagen aufs Spiel setzten.

Der gemeinsame Wurf nach vorne

Ich weiß auch, dass es falsch wäre ihnen nur alles böse in dieser Welt anzudichten. Eher ist es so, dass jede_r von uns Themen hat, wo unser blinder Fleck zupackt. Aufzuzeigen, dass hier das falsche Pferd geritten wurde, ist mehr als notwendig. Doch zeitgleich muss es ein Zeichen unserer modernen Gesellschaft sein aufzuzeigen, dass die Chance der Weiterentwicklung niemals durch das Abstempeln als „Idiot“ eine Lösung sein darf.

Die Macher von Basecamp waren ob ihres jahrelang guten Rufs sicherlich einer neuen Situation ausgesetzt und brauchen eine Zeit um auf diesen Shitstorm zu reagieren, der auch die Kündigung eines beachtlichen Teils der Belegschaft mit sich brachte, doch sollte man ihnen die zweite Chance geben, aus dem Erlebten auch zu lernen.

Nur wenn wir als Gesellschaft den handelnden Personen mit Einsicht die Möglichkeit geben ihren Horizont zu erweitern, werden wir gemeinsam wachsen. Ansonsten heißt es „wir gegen die“ und diese Sichtweise sollte nur im Krieg eine Rolle spielen, aber nicht im Arbeitsmarkt, wo New Work ein Spielfeld der neugierigen Experimentierhaltung sein darf. Fehler und Einsichten miteingeschlossen. 

PS: ich bin als Unternehmer auch der Meinung, dass ein Unternehmen die Summe seiner Entscheidungen, Prozesse und Todos ist - aber eben nichts ohne seine Mitarbeiter_innen, die das Ganze mit Leben füllen :)

Andreas Klodner

Head of Datwyler IT Infra AT

8 Monate

Ali, sehr spannend!

David Wippel

Storyblok Websites/DXP • Marketing Automation • SaaS

3 Jahre

Der Exodus war aber mehr oder weniger durch ein Meeting verursacht. Dort hat einer der führenden Executives gemeint "White Supremacy" gäbe es bei ihnen nicht. Mich hat es auch einigermaßen ernüchtert. War ein Fan, hab alle Bücher gelesen und erst unlängst haben wir ihre PM Methode "Shape Up", bei uns eingeführt. Nicht jedes Unternehmen muss automatisch politisch sein, aber man kann und darf sich der gesellschaftlichen Verantwortung nicht entziehen. Sonst ist man Teil des Problems.

Thomas Lahnthaler

Unconventionalist I Facilitation, Disruption & Communication Coach I Mediator I Provocative (TEDx-) Speaker I Author

3 Jahre

Was ich spannend finde ist, dass diese Diskussion generell fast schon persönlich wirkt. Auch ich als grosser Basecamp Fan war überrascht und anfangs fast ein bisschen enttäuscht, aber bei genauerem Hinsehen hat sich herausgestellt, was bei Basecamp passiert ist, war vor allem anderen ein Kommunikationsproblem. Die Sozialen Medien haben sich einen einzigen Punkt vorgenommen, wonach es keine politischen Diskussionen mehr am Arbeitsplatz geben sollte. Was ich schade finde ist, dass dies der einzige Punkt von den 6 Änderungen war, der diskutiert wird. Ich denke, es wäre extrem spannender sich alle Punkte (committees, benefits, 360 reviews) objektiv anzusehen und zu verstehen versuchen, weshalb diese Entscheidungen getroffen wurden. Basecamp hat ja Entscheidungen getroffen, die gegen das stehen, was sie jahrelang promoted haben. Das zeigt, dass sie als Unternehmen gelernt haben und sich nun anpassen müssen. Der Lernprozess ist einer der bei vielen (um nicht zu sagen, den meisten) nicht funktioniert, deshalb finde ich es schade, dass diese Entwicklung nicht in der Diskussion auftaucht.

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