Die Auslastung ist eine irreführende Kategorie beim Vergleich der Leistung der Theater untereinander, weil sie von uns verlangt, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. So unterschiedlich die Theater sind, so unterschiedlich ist auch das Fassungsvermögen der verschieden großen Zuschauersäle. Im kleinen Hallenser neuen Theater passen gerade einmal 400 Zuschauer*innen in den Saal und im großen Schauspielhaus in Hamburg sind es knapp 1200. Eine hohe Auslastung in Halle von ca. 80% klingt auf den ersten Blick besser als 70% im Schauspielhaus, bezieht sich de facto aber auf viel weniger Zuschauer*innen. Weshalb ich empfehle mit nominalen Zahlen, also den tatsächlichen Zuschauer*innen-Zahlen und Vergleichszahlen über eine Zeitreihe von 10 Jahren zu arbeiten. Wer noch tiefer in die Materie einsteigen möchte, kann sich auch mit Indikatoren der Wirksamkeit befassen, also: wie viel Zuschauer*innen werden je eingesetzter Million erreicht und wie hoch ist die Einspielquote in % aus eigenen Ticketverkäufen, die in Deutschland in den Jahren vor Corona bei 16-17% lag.
Aus diesem Grunde würde ich empfehlen, auf diese sogenannte Auslastung als Diskussions-Instrument zu verzichten. Noch ein weiterer Aspekt spricht dafür: Viele Theater verändern ihre Saalpläne in Anbetracht der erwarteten Zuschauer*innen-Zahlen, vor allem Mehrsparten-Theater, bei denen eine große Bühne gemeinsam von Oper und Schauspiel bespielt wird. Dann macht es - auch aus künstlerischer Sicht - Sinn, wenn zum Beispiel für das Schauspiel der 2. und 3. Rang, sofern vorhanden, gesperrt werden. Das verringert die Verfügbarkeit der Plätze und so wird aus einer eigentlich niedrigen, eine mittlere Auslastungszahl.
Interessanterweise zählt sich das Burgtheater mit 69,4% Auslastung 2022/23 "im Vergleich zu anderen Häusern im deutschsprachigen Raum (...) zu den erfolgreichsten Sprechtheatern." Ich kann mir nicht erklären, woher dieser Befund kommt. Der Deutsche Bühnenverein (mit den Zahlen aus D-A-CH) hat erst unlängst seine Statistik 2021/22 veröffentlicht - die Berichterstattung dazu in Österreich geht gegen Null. Die für Vergleiche relevante Statistik 2022/23 mit validen Zahlen zum gesamten deutschsprachigen Raum wird erst in rund einem Jahr verfügbar sein. Was es sehr wohl gibt, ist ein Zwischenbefund des deutschen Bühnenvereins aus dem Februar 23 basierend auf einer Umfrage - hier ist aber bereits für Dezember 2022 von einer durchschnittlichen Auslastung von 80 Prozent die Rede. Und was hört man im Zuge von Einzelmeldungen aus vergleichbaren Theaterstädten? Das Berliner Ensemble vermeldet zum Beispiel für die Spielzeit 2022/23 eine durchschnittliche Auslastung von 93,7%. Mit, trotz, im BEWUSSTSEIN dieser Zahlen führt Deutschland gerade eine intensive Debatte rund um das Thema Publikumsinteresse. Da müssen wir in Österreich hin. Der erste Schritt in diese Richtung wäre, sich Umfragen und Statistiken nicht schön zu interpretieren - maßgebliche kulturpolitische AkteurInnen gehen hier mit schlechtem Beispiel voran. Hilfreich bei diesem ersten Schritt wäre ein kulturjournalistisches Gegenüber, das solchen Dingen auf den Grund geht.
Es ist überhaupt keine Schande, sich in Krisenzeiten abzukämpfen und hie und da zu scheitern - die Menschen am Schmäh zu halten, ist aber wirklich unschön. Das sich das alles logisch nicht ausgeht, zeigen die ersten vier Zeilen des verlinkten Artikels:
Bundestheater "über Folgen des Ausnahmezustands weitgehend hinweg".
Nachsatz:
Geringere Auslastung sei "eine Folge von Corona"
#theater #statistik #bundestheater #kultur #politik #publikum #krise #zukunft #innovation #transformation #österreich #deutschland #bühne
https://lnkd.in/gMbCcRJA
Bundestheater "über Folgen des Ausnahmezustands weitgehend hinweg"
derstandard.at
Growth Advisor (Hims, Toast, Reddit) | Hypergrowth Partner
2 Wochen👏 👏 you did great