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Libellenflug und Windgeflüster: 52 Fährten Gottes in der Welt
Libellenflug und Windgeflüster: 52 Fährten Gottes in der Welt
Libellenflug und Windgeflüster: 52 Fährten Gottes in der Welt
eBook199 Seiten1 Stunde

Libellenflug und Windgeflüster: 52 Fährten Gottes in der Welt

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Über dieses E-Book

Eine staubige Baustelle und ein kleines Rinnsal am Wegesrand, Risse in maroden Kirchenmauern oder das Kerngehäuse eines Apfels – Orte und die Dinge, die oft übersehen werden, ziehen nicht nur die Aufmerksamkeit der Missions-Benediktinerin Schwester Paulina Kleinsteuber auf sich, sondern inspirieren sie auch zu überraschenden Gedanken über Gott und das Leben. Mit klaren, wachen Worten schreibt sie über die Faszination der Schöpfung, die Verletzlichkeit des Lebens und die Suche nach Gott. Die Beobachtungen, die sie im Alltag und auf ihren Streifzügen macht, hält Sr. Paulina dabei teilweise auch in Zeichnungen fest, von denen eine Auswahl die Texte begleitet.
Ein außergewöhnlicher Begleiter für alle auf der Suche nach unverbrauchten Bildern und Worten und einem neuen Blick auf die Schöpfung, den eigenen Glauben und das Leben.
SpracheDeutsch
HerausgeberVerlag Herder
Erscheinungsdatum12. Aug. 2024
ISBN9783451833816
Libellenflug und Windgeflüster: 52 Fährten Gottes in der Welt
Autor

Paulina Kleinsteuber

Dr. rer. biol. vet., ist Missions­benediktinerin von Tutzing.

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    Buchvorschau

    Libellenflug und Windgeflüster - Paulina Kleinsteuber

    Aufbruchstimmung

    Erste Fährte

    Vom Reisen

    Als du jung warst, hast du dich selbst gegürtet und bist gegangen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst.

    Johannes 21,18

    Wir gehen im Leben auf vielerlei Reisen. Innere wie äußere. Oft machen wir uns aus eigenem Antrieb auf den Weg, aus Freude, aus Interesse und Lust am Neuen, aus beruflichen Gründen oder um Besorgungen zu erledigen. Manchmal werden wir auf eine Reise geschickt, zu der wir aus eigenem Entschluss nie aufgebrochen wären. Unsere Familie, unser soziales Umfeld, die Arbeitgeber, die Ordensoberen, sie muten uns manch ungelegene Aussendung zu, innerlich wie äußerlich. Blickt man in die Welt, machen vielerorts Hunger, Vertreibung, Angst und Krieg eine Reise not-wendig. Das ganze Leben an sich ist eine Reise. Eine Reise durch die Zeit!

    Eine Reise ist immer eine Bewegung hin zu etwas anderem, ein Aufbruch. Jede Reise verändert: die Reisenden, die Zurückbleibenden und auch die, denen wir während der Reise begegnen. So birgt eine Reise immer Neues, Fremdes. Sie ist ein Wagnis ins Unbekannte, welches womöglich das Vertraute in ein neues Licht tauchen wird, einen Perspektivwechsel herbeiführt. Gewollt oder ungewollt. Auf mancher Reise sehen wir selbst den vertrauten Sternenhimmel ein ganzes Stück ver-rückt: Momente, in denen man ehrfürchtig innehalten mag, denn selbst wenn die Sterne am Himmel Kopf stehen, es sind und bleiben dennoch dieselben. Wenn ich den Mond anschaue, sei es in Tutzing, in Erfurt, in Yerewan, in Mazar-e-Sharif oder in Chicago, es ist und bleibt immer derselbe Mond. Blicke ich zur selben Zeit in den Nachthimmel wie ein Mensch, der mir am Herzen liegt und gerade fern ist, sei es aufgrund räumlichen Abstandes oder innerer Unnahbarkeit, so kann ich darauf vertrauen, dass es trotz aller Distanz die gleichen Sterne sind, die wir am Firmament sehen. Ferne wird so ein Stück weit relativ.

    Und wie ist es mit GoTT? Wir schauen mit je unseren eigenen Augen des Herzens auf diesen, unseren Gott: in allen Teilen unserer Erde, aus unseren verschiedenen Kulturen heraus, mit unseren unterschiedlichen Blickwinkeln. Und doch bleibt Gott GoTT, der Eine. Trotzdem fällt es uns so schwer, andere Menschen in ihrer jeweils eigenen Perspektive auf ›ihren‹ Gott schauen zu lassen, ohne deren Sicht über den Haufen werfen zu wollen oder zu meinen, es besser zu wissen. Warum nicht darauf vertrauen, dass es immer ER ist, auf den wir alle blicken? Stattdessen scheuen wir uns davor, uns probeweise in eine andere Anschauung GoTTes hineinzuwagen. Wovor haben wir Angst? Vor einem Wahrnehmen der eigenen Enge, vor einem Zugewinn an Weite? Davor, dass wir den spirituellen Halt verlieren, wenn wir erkennen, dass das, was wir als ›richtig‹ erlernt haben, womöglich nicht das einzige ›Richtig‹ ist? Davor, dass unser Glaube eine Bereicherung erfährt und sich damit wandelt?

    Die Bibel ist prall gefüllt mit Reiseerfahrungen über Wege, die Glaubende gegangen sind, und die sie teilweise unfreiwillig gehen mussten. Immer wieder sind sie in Berührung mit GoTT gekommen. Immer wieder hat ER sich den Menschen offenbart. Die Formen der Anbetung, die Struktur der religiösen Gemeinschaften, sie waren immer gebunden an äußere Umstände, an die Zeichen und Erfordernisse der jeweiligen Zeit. Die Quelle der Gottesbegegnung war dabei stets die Lauterkeit des Herzens und eine tiefe Ehrfurcht vor GoTT, die Liebe zu IHM, zu unseren Nächsten, zu SEINER ganzen Schöpfung. All das hat uns auch Jesus Christus mit auf den Weg, auf unsere Reise durchs Leben gegeben, wie das Versprechen, dass diese Lebensreise mit dem Tod kein Ende hat, sondern durch den Tod hindurch Vollendung finden wird.

    Die großartige Zusage einer Reise hinein in die Ewigkeit findet Platz im kleinsten Reisegepäck. Sie braucht keinen Koffer, lediglich den Herzbeutel, und sie lässt sich an keiner Sicherheitskontrolle aufhalten.

    Ja, die Unwägbarkeiten, die jede Reise mit sich bringt können, verunsichern. Sie dürfen sogar verunsichern, denn sie machen uns vorsichtig, aufmerksam und empfänglich für verschiedene Eindrücke. Man kommt von einer Reise anders zurück als man aufbrach und ist dennoch derselbe Mensch. Und auch der Ort der Rückkehr, die Menschen dort, sie werden sich verändert haben und sind dennoch keine anderen.

    Es bleiben Fragen: Was wird an mir geschehen? Welche Blessuren werde ich davontragen? Welche Erfahrungsschätze werde ich bergen?

    Wird die Haut, in die ich zurückkehre, noch passen? Antworten darauf wird die Zeit liefern. Die Verzagtheit, die Angst davor dürfen wir in die Zusicherung GoTTes legen:

    Nun aber – so spricht der Herr, dein Schöpfer, Jakob, der dich geformt hat, Israel: Fürchte dich nicht; denn ich habe dich ausgelöst und rufe dich beim Namen, mein bist du. Gehst du durchs Wasser, ich bin bei dir, durch Ströme, sie werden dich nicht überfluten. Gehst du durchs Feuer, du wirst nicht verbrennen, die Flamme wird dich nicht versengen. Denn ich, der Herr, bin dein Gott, der Heilige Israels ist dein Helfer.

    (Jes 43,1–3)

    Zweite Fährte

    Social Media

    … der Engel Gabriel (wurde) von Gott in eine Stadt in Galiläa, in eine Stadt namens Nazaret zu einer Jungfrau gesandt … Der Engel sagte zu ihr: … Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären … Heiliger Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden … Maria macht sich in diesen Tagen auf und eilte in eine Stadt im Gebirge von Judäa.

    Lukas 1,26–29

    Maria, sie wandert los. Allein. Als Frau in einer Männerwelt. Jung. Unverheiratet. Schwanger. Skandalös und wagemutig.

    Man könnte sagen, sie sei verrückt, und läge damit ganz richtig.

    Maria, sie ist spürbar ver-rückt. Im Blick auf die damaligen Konventionen, im Blick auf das, was sich so gehört, im Blick auf die Lebensprioritäten. So rückt Maria heraus aus der Vertrautheit ihrer bisherigen Normalität.

    Ver-rückt mutet auch Marias Umgang mit äußeren Gefahren an. Am Wegesrand warten Raub, Mord, Misshandlung. Auch ein Absturz in unwegsamem Gelände wäre denkbar. Im Jahre 0 finden sich weder Polizeistreife noch Krankenwagen im Bergland von Judäa.

    Bewegt von dem, was in ihr begonnen hat zu leben, macht sich Maria auf diesen Weg. Schickt keinen Boten, auch keine WhatsApp. Sie bricht selbst auf.

    Wie, wenn nicht in echter Begegnung mit Elisabeth ließe sich für sie das Unteilbare in eine Teilhabe hineintragen? Der Preis: Aussetzung, soziale Ausgrenzung, Lebensgefahr. Und die nächsten riskanten Aufbrüche werden in Marias Leben nicht lange auf sich warten lassen. Wie teuer ist diese Begegnung mit Elisabeth! Wie kostbar und wertvoll ist dieses wahrhafte Miteinander, dieses Innehalten im Dazwischen, und wie weit weg von dem, was wir ›soziale Netzwerke‹ nennen.

    Welchen Aufwand betreiben wir in unserer digitalen Welt, um Nachrichten zu ›teilen‹? Was kostet uns das? Es ist so einfach geworden. Wir überschütten uns ohne wirkliche Mühe mit Mitteilungen und sind bedroht, uns selbst damit in Belanglosigkeiten und Unverbindlichkeit zu ersticken.

    Gibt es sie noch, diese Widerfahrnisse, die uns nötigen, mit ihnen schwanger zu gehen? Widerfahrnisse, die uns ganz bewusst aufbrechen lassen, weil das Herz uns drängt? Widerfahrnisse, nach denen wir, wie Maria, alles außer Acht lassen, was uns sozialer Druck und Konventionen einflüstern, wohl wissend, dass hinter der ersten steinigen Etappe gewiss die nächste Mühsal wartet?

    Und wenn es diese Widerfahrnisse noch gibt, können wir sie noch wahrnehmen? Können wir den Ruf GoTTes noch wahrnehmen inmitten der aufdringlichen Informationsflut, der Alltagshektik? Es lohnt sich, diese zeitweise aufzubrechen, zu unterbrechen, damit GoTTes Ruf in uns einbrechen kann. Wie sonst kann er in uns Wohnung nehmen, uns aus der Welt verrücken lassen, damit wir IHN in diese Welt hinein- und hindurchtragen können?

    Dritte Fährte

    Mauerblümchen

    Seht ihr dies alles? Amen, ich sage euch: Kein Stein hier wird auf dem anderen bleiben …

    Matthäus 24,2

    Die kleine graue Betonmauer gegenüber der alten Schmiede ist nützlich, aber wahrlich kein schöner Anblick. Man kann die Gießkannen darauf abstellen, die Heckenschere ablegen, für eine kurze Pause darauf Platz nehmen, aber sie bleibt, was sie ist: eine ordinär graue, tote, wesenlose Mauer. Bisher schien sie das jedenfalls zu sein.

    Eines Morgens besucht mich eine Mitschwester am Arbeitsplatz. Ob ich kurz Zeit habe? Ich nehme mir sie und wir gehen gemeinsam durch den Garten bis zur Schmiede. »Hast du das Blümchen an der Mauer schon gesehen?« Bisher hatte ich das nicht, aber als wir um die Ecke biegen, lacht sie uns entgegen: eine prächtige Margarite, mitten in der Mauer, aus der Mauer heraus. Es ist kaum zu erkennen, wie das funktionieren kann; wo sie Halt, Nahrung und Wasser findet. Offensichtlich hat sie Möglichkeiten gefunden.

    Wir freuen uns. Hier lebt etwas, lässt sich nicht unterkriegen und unterwirft sich nicht den unnachgiebigen Regeln der Betonklötze, den abdichtenden Gesetzmäßigkeiten von Verbindungsstellen toten Baumaterials. Die Pflanze bahnt sich den Weg hindurch, bricht Widerstände, will unbedingt blühen, leben. Ein Trotzdem.

    Ein Trotzdem desgleichen: GoTTes Geist. Die winzigsten Lücken durchdringend, die ihm die Seele bietet, selbst in erstarrten, festgefahrenen Zeiten – wie auch einst Jesus treffend, IHN bewegend. SEINE Art zu leben hat sich aus den Fugen des Üblichen herausgeschält. Kein Stein sollte mehr auf dem anderen liegen, und das bereits vor der gegenständlichen Zerstörung des Tempels.

    Das Mauerblümchen, es bricht durch, bringt Hoffnung, weist neue Wege. Es scheint uns mit Paulus sagen zu wollen:

    Doch all das überwinden wir, durch den, der uns erlöst hat.

    (Röm 8,37)

    Kraftvoll, unbeugsam, auch eine Spur dickköpfig und doch friedlich. Ein Sinnbild für viele: für die Trümmerfrauen nach dem Zweiten Weltkrieg, für die Menschen im Osten 1989, für heutige Initiativen gegen Rechtsextremismus und für die vielen Engel des Alltags. Vorbild für uns im konkreten Hier und

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